22/04/15 ANGKOR

Die Anlagen von Angkor sind einfach magisch. Das mag auf den ersten Blick nicht so erscheinen - kommt man doch an in einem gehetzten Gewühl aus umherstiebenden Touristen mit Strohhüten und Selfie-Stäben, großäugigen kambodschanischen Kinderscharen, die im Kanon unaufhörlich auf ihre Souvenirs verweisen und dabei mit ihrer verschmutzten, fahlen Kleidung beinahe Eins werden mit der staubigen Umgebung, und aus tutenden, knatternden Tuktuks, bemüht, sich ihren Weg durch das wuselige, gestaute Gedränge zu bahnen. 
Man sieht sich schon in einem Knäul aus trappelnden Sandalen und Kamerablitzen, bloß noch mitschwimmend, unbeholfen und dankbar für jede Gelegenheit, einmal stehen bleiben und ausatmen zu können - aber nichts da:
Die Menschenmengen zerstreuen sich erstaunlich schnell, sobald es in die Anlagen hineingeht; die stechenden Geräusche versickern zwischen den Gemäuern und weichen einem dumpfen Stimmenwirrwarr, das angenehm durch die kühlen Gänge wabert. Viele der Tempel sind überdacht und so legt sich ein sanfter Schatten über die Wege, das einfallende Licht tanzt zaghaft in den schon so lange verlassenen Räumen. Es ist so mild, so friedlich, man kann in aller Ruhe umherschweifen über die riesigen, glatten Steinplatten, abgelaufen von Millionen von Fußpaaren in einer Zeitspanne, die sich teilweise über 600 Jahre ausdehnt - verrückt. 
Obwohl ich zugeben muss, dass es mir schwer fiel, mir den Ort so auszumalen, wie er wohl in der Vergangenheit gewesen sein muss - wie es sich wohl angefühlt haben muss, damals zwischen den Säulen entlang zu hasten, geschäftig und eingebunden in einen Alltag, der mir trotz all seiner unmittelbaren, veranschaulichenden Nähe so fern erschien. Angkor blieb für mich eher ein Ort der Gegenwart, als der Vergangenheit. Aber ein schöner, verzauberter Ort, der Einhalt gewährt und eine unzerstörbare Ruhe ausstrahlt, der manchmal nach Staub, mal nach frisch gemähtem Gras riecht und der nun mehr der Natur, als den Menschen gehört.
Das ist tatsächlich mit das Faszinierendste an Angkor. Wie die Wildnis mit den Mauern der Anlage verschmilzt. Überall umgibt einen dieser brodelnde Urwald. An manchen Stellen wachsen dicke, meterhohe Bäume, die sich wie gefräßige Schlangen um den Stein winden, sich bis in den Boden und wieder heraus fressen mit Wurzeln dicker als Elefantenbeine... 
Ich stand grade auf der Terrasse eines hohen Tempels und schaute in den daran dicht angrenzenden Wald oder Dschungel und musste so denken: Eigentlich ist es doch immer andersherum - man steht irgendwo in einer Großstadt, vor einem reihen sich die Häuser aneinander, große, kleine, darunter bombastische Klötze und wuchern gen Horizont. Und man selbst versucht, sich vorzustellen (ausgehend von irgendwelchen Anzeichen oder Überbleibseln der Natur - Büsche in einer Parkanlage, eine knorrige Platane -), wie es wohl aussah, als all das vom Menschen Errichtete noch nicht da war und alles wild und grün wucherte. -- Und hier steht man nun in den Ruinen eines Tempels, umgeben von einem summenden Wald, Nichts außer meilenweitem Grün und man kann nicht glauben, dass von diesem Punkt aus mal eine komplette, funktionierende, von Menschen geordnete Stadt zu sehen war. Als hätte die Natur sich Etwas zurückgeholt und dabei einfach die vergangene Zeit ungeschehen gemacht. 






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